„Wenn es rechtswidrige Zustände gibt, die es abzustellen gilt, muss es legitim sein, wenn dies mithilfe einer größeren Zahl an Klagen geschieht.“
DUH: Herr Klinger, der Deutsche Bundestag hat das Gesetz zur Musterfeststellungsklage beschlossen. Wie bewerten Sie das Gesetz?
Na ja, das Ganze fällt sehr zwiespältig aus, und auch nur dann, wenn man mit viel Optimismus gesegnet ist. Mit dem neuen Gesetz können Verbraucher sich jetzt zusammenschließen, indem sie sich in ein Klageregister eintragen. Für die Feststellungsklage an sich entfallen keine Kosten für den Verbraucher. Bestimmte eingetragene Verbraucherschutzverbände sollen die Möglichkeit erhalten, zugunsten von mindestens zehn Verbrauchern eine Rechtswidrigkeit feststellen zu lassen. Wenn die Musterfeststellungsklage erfolgreich ist, ist der Sachverhalt automatisch für alle, die im Register eingetragen sind, verbindlich festgestellt.
Nur jetzt kommt der Haken: Danach muss nämlich der einzelne Verbraucher anschließend individuell auf Schadensersatz klagen. Und wenn es nur um kleinere Beträge geht, werden viele Verbraucher ihre Ansprüche auch weiterhin verstreichen lassen. Im besten Fall wird eine individuelle Klage unnötig sein, wenn eine außergerichtliche Einigung nach erfolgreicher Feststellungsklage möglich ist. Zumindest ist die Verjährung von Ansprüchen von Verbrauchern ab Klageeinreichung der Feststellungsklage gehemmt.
DUH: Eine der zentralen Fragen des Gesetzes war es, welche Verbände klageberechtigt sein können. Sehen Sie nachvollziehbare Argumente für die aktuell sehr restriktiven Anforderungen an klageberechtigte Verbände?
Die Anforderungen an die Verbände sind recht willkürlich gewählt. Unter anderem müssen klageberechtigte Verbände mindestens zehn Verbände oder 350 natürliche Personen als Mitglieder führen. Das ist in dem Kontext der Musterfeststellungsklage eine völlig irrelevante Kategorisierung, da die Mitgliederanzahl höchstens Aufschluss über die Größe oder Struktur eines Vereins gibt. Beides hat keine Relevanz dafür, wie gut sie Klagen verwalten können.
Durch diese Hürde ist auch die Deutsche Umwelthilfe von der Musterfeststellungsklage ausgeschlossen, obwohl sie unzweifelhaft eine hohe Expertise in bestimmten Bereichen des Verbraucherschutzes aufweist. Das zentrale Auswahlkriterium sollte die Expertise auf dem jeweiligen Gebiet sein.
DUH: Ist denn die Befürchtung einer sogenannten „Klageindustrie“ kein valides Argument dafür, nur ganz bestimmte und hohe Auflagen erfüllende Institutionen als klageberechtigt zu klassifizieren?
Erst einmal verstehe ich nicht, was eine „Klageindustrie“ sein soll. Wenn es rechtswidrige Zustände gibt, die es abzustellen gilt, muss es legitim sein, wenn dies mithilfe einer größeren Zahl an Klagen geschieht. Mit dem Schlagwort der „Klageindustrie“ sollen doch letztlich nur Großunternehmen vor der Inanspruchnahme bei massenweise auftretenden Klageansprüchen geschützt werden, es geht also eher um ein „Industrie-vor-Klage-Schützen“ als um eine „Klageindustrie“.
Aber selbst wenn man darunter verstehen würde, dass nicht gemeinnützige Organisationen Ansprüche von Verbrauchern wahrnehmen, wird das Gesetz zur Musterfeststellungsklage seinem eigenen Anspruch nicht gerecht. Denn nach dem Gesetz sollen Verbände von der Klage ausgeschlossen sein, die mehr als fünf Prozent ihrer Zuwendungen von Unternehmen erhalten. Erhält der Verein diese Zuwendungen, weil er wie die Deutsche Umwelthilfe ein Fischotterprojekt betreibt, darf er nicht klagen. Erhält ein Verein jedoch nur knapp unter fünf Prozent Spenden von Unternehmen, diese aber vollständig von einem Wettbewerber des in der Musterfeststellungsklage verklagten Unternehmens, wäre dies zulässig. Das ist absurd. Richtiger wäre es, wenn das Gesetz gefordert hätte, offenzulegen, ob die Klage durch einen Wettbewerber finanziert wird und dies zu untersagen. So sieht dies im Übrigen auch eine Empfehlung der EU-Kommission vor, die man komplett übergangen hat.
DUH: In unserer EU-Kampagne „Get Real: Für ehrliche Spritangaben“ setzen wir uns dafür ein, die Verbraucherrechte bei festgestelltem Mehrverbrauch zu stärken. Die Herstellerangaben weichen inzwischen um 42 Prozent von den realen Verbrauchswerten eines Fahrzeugs ab. In wieweit kann die Ausgestaltung der Musterfeststellungsklage hier Abhilfe schaffen?
Wenn der Hersteller einen deutlich niedrigeren Spritverbrauch angibt, als das Fahrzeug in realem Betrieb verbraucht, liegt ein Sachmangel vor. Hier können die Verbraucher auch jetzt schon eine Kaufpreisminderung, also eine Erstattung eines Teils des Kaufpreises, oder eine Rückabwicklung des Kaufes erwirken. Allerdings muss der Mehrverbrauch unter Laborbedingungen nachgewiesen werden. Dies und die gut ausgestatteten und finanzierten Rechtsabteilungen der Autokonzerne führen zu einem enormen Kostenrisiko für individuelle Verbraucher, die tatsächlich klagen – und das bei einem vergleichsweise relativ geringen möglichen Gewinn. Folglich fordern die wenigsten Verbraucher tatsächlich Entschädigung.
Eine Musterfeststellungsklage reduziert das individuelle Kostenrisiko erheblich und kann so dazu führen, dass deutlich mehr Verbraucher sich dazu entscheiden, gegen die Autokonzerne vorzugehen. Dies wiederum sollte einen Anreiz für die Autohersteller bieten, ehrliche Verbrauchsangaben zu machen.
DUH: Welche konkreten Schritte können Verbraucher nach dem Gesetz unternehmen, wenn sie feststellen, dass der Spritverbrauch ihres Fahrzeugs systematisch von den Herstellerangaben abweicht?
Als erstes müssen geschädigte Verbraucher die Initiative ergreifen und bei einer klageberechtigten Verbraucherschutzorganisation vorstellig werden. Wenn dies zehn oder mehr Verbraucher mit gleichgelagerter Angelegenheit bei demselben Verband tun, müssen sich anschließend nochmal 50 oder mehr Geschädigte binnen zwei Monaten in einem Klageregister registrieren. Wenn dies geschehen ist, klagt die Verbraucherschutzorganisation im Namen der registrierten Verbraucher. Noch bis zum Ende der mündlichen Verhandlung kann sich jeder in das Klageregister eintragen, der in gleicher Sache klagen möchte.
Wenn die Klage des Verbands dann erfolgreich sein sollte, muss im nächsten Schritt jeder registrierte Verbraucher einzeln die Höhe des Schadensersatzes einklagen, welcher abhängig ist von dem individuellen Mehrverbrauch, sofern keine außergerichtliche Einigung angestrebt wird. Eine wichtige Frage für die einzelnen Verbraucher wird natürlich auch sein, wer für die Kosten für die Labortests aufkommt, individuelle Verbraucher oder der Verein, und wer diese veranlasst. Dies ist aktuell noch unklar.
Fordern Sie mit uns: Schluss mit Klimakillern und Verbrauchertäuschung!