„Die neue Bundesregierung muss eine wirksame Marktüberwachung einführen, um Betrügereien zu unterbinden.“
Herr Kolbe, mit der Kampagne „Get Real“ setzen wir uns dafür ein, dass die Lücke zwischen den offiziellen Herstellerangaben zum Spritverbrauch eines Fahrzeugs und dem Realverbrauch geschlossen wird. Inwiefern sind Sie in Ihrem Berufsalltag mit dieser Verbrauchertäuschung konfrontiert?
Dass Autos auf der Straße mehr Kraftstoff verbrauchen als offiziell angegeben, ist Verbrauchern leider schon länger bekannt. Aber die Dynamik, mit der die Differenz in den letzten Jahren zugenommen hat, ist alarmierend. Wir hören regelmäßig von Verbraucherbeschwerden, bei denen sich die Autokäufer über unerwartet hohe Verbräuche beklagen. Leider können die Fahrzeugbesitzer in den wenigsten Fällen etwas dagegen unternehmen. Ein aus Verbrauchersicht extrem unbefriedigender Zustand.
Welche Maßnahmen sollte die neue Bundesregierung als erstes ergreifen, um dem Betrug der Autoindustrie am Verbraucher ein Ende zu bereiten und Verbraucherrechte gegenüber den Autokonzernen zu stärken?
Es hat sich gezeigt, dass Rollenprüfstandsverfahren wie der Neue Europäische Fahrzyklus (NEFZ) als Testverfahren nicht geeignet sind, Verbrauchern realistische Kraftstoffangaben zu liefern. Aus diesem Grund müssen schnellstens Straßenmessverfahren für den Kraftstoffverbrauch entwickelt und eingeführt werden. Real Driving Emissions (RDE) sind seit 2017 bereits für Stickoxide vorgeschrieben und die Bundesregierung muss sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass auch für den Kraftstoffverbrauch ein vergleichbares Verfahren kommt. Bis es soweit ist, muss die Bundesregierung aber schon jetzt eine wirksame Marktüberwachung einführen, die den Autoherstellern konsequent auf die Finger schaut, um Betrügereien zu unterbinden.
Viele Autofahrer stellen fest, dass ihr Fahrzeug deutlich mehr verbraucht, als offiziell angegeben. Warum wehren sich nur sehr wenige dagegen?
Die rechtlichen Hürden, einen solchen Mangel gegenüber dem Hersteller geltend zu machen, sind relativ hoch. Ein Sachmangel, der zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigt, liegt nur dann vor, wenn das Fahrzeug mindestens 10 Prozent mehr verbraucht als angegeben. Jedoch reichen Tankquittungen oder der Bordcomputer als Nachweis für den Mehrverbrauch vor Gericht nicht aus, es muss ein Sachverständigengutachten eingeholt werden. Das ist nicht gerade günstig und wird vor allem unter Laborbedingungen nach offiziellem Testverfahren gemacht. Und gerade hier halten die Fahrzeuge, wenn sie keinen technischen Defekt haben, den offiziellen Kraftstoffverbrauch ja meistens ein. Insgesamt besteht für Halter ein großes juristisches und finanzielles Risiko, sich zu wehren.
Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang die Einführung einer Musterfeststellungsklage in Deutschland?
Viele Verbraucher sind von identischen rechtlichen Problemen betroffen, müssen sich aber nach derzeitigem Recht einzeln juristisch zur Wehr setzen. Und das bei zum Teil hohem individuellem Kostenrisiko. Die Bündelung dieser Ansprüche in einem Verfahren mittels Musterfeststellungsklage senkt dieses Risiko für die Verbraucher und schafft Rechtssicherheit und Klarheit für alle Seiten. Die neue Bundesregierung muss deshalb schnellstens die Musterfeststellungsklage einführen.
Welche Vorteile sehen Sie für Verbraucher in der Musterfeststellungsklage im Vergleich zu einer Sammelklage?
Die Musterfeststellungsklage kann helfen, juristische Streitigkeiten gerichtlich klären zu lassen und allen Betroffenen eine effektive Rechtsdurchsetzung zu ermöglichen. Sammelklagen, vor allem nach US-amerikanischem Vorbild, sollen häufig Druck erzeugen, um Unternehmen zu einem Vergleich zu bewegen. Von den Vergleichszahlungen bleibt jedoch ein großer Teil bei den Anwaltskanzleien. So ist die Frage nicht ganz unbegründet, ob diese Art von Sammelklagen den Verbrauchern nutzt oder vor allem den beteiligten Anwälten.
Das Interview wurde von der Redaktion gekürzt. Das gesamte Interview mit Gregor Kolbe finden Sie zum Download am Ende dieser Seite.
Das Interview wurde im Rahmen der Kampagne „Get Real – Für ehrliche Spritangaben“ durchgeführt. Get Real wird im Rahmen des LIFE-Programms von der EU-Kommission gefördert.
Fordern Sie mit uns: Schluss mit Klimakillern und Verbrauchertäuschung!