Pressemitteilung
Novellierte Verpackungsverordnung: Bewährungsprobe missglückt
Mehr Transparenz über den Verbleib und die Wiederverwertung so genannter Verkaufsverpackungen sollte sie bringen und Trittbrettfahrer bei der Entsorgung abschrecken. Doch gut eineinhalb Jahre nach ihrem Start produziert die fünfte Novelle der Verpackungsverordnung gleich bei ihrer ersten Bewährungsprobe statt Transparenz neue Ungereimtheiten: Sie ermöglicht unkontrollierte Stoffströme und öffnet Schlupflöcher für kreative Falschdeklarierungen. Eine Kontrolle findet, in aller Regel, nicht statt. Darauf hat die Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH) hingewiesen und gleichzeitig beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) nach dem Umweltinformationsgesetz Daten über die gemeldeten Verkaufsverpackungen angefordert.
Im April 2008 hat die Novelle der Verpackungsverordnung etwa 3.000 bis 4.000 Unternehmen, die Verkaufsverpackungen einsetzen, verpflichtet, jeweils zum 1. Mai bei ihren zuständigen Industrie- und Handelskammern so genannte Vollständigkeitserklärungen zu hinterlegen. Die Erklärungen enthalten Angaben zu den von den Unternehmen für ihre Waren im Vorjahr eingesetzten Verpackungen und ihrer Entsorgung. Die Angaben sollen von Wirtschaftsprüfern oder Steuerberatern geprüft werden. Soweit die Theorie.
Ein halbes Jahr nach dem ersten Stichtag (1. Mai 2009) und eineinhalb Jahre nach der Bekanntmachung der neuen Regelungen steht nach Überzeugung der DUH fest, dass die Ziele bisher nicht annähernd erreicht werden. Es hapert an Transparenz, an Kontrolle und offensichtlich auch an Willen und Möglichkeiten der zuständigen Behörden, gegenüber „Falschspielern“ Sanktionen durchzusetzen. „Niemand will wissen, wie viele Unternehmen überhaupt eine Vollständigkeitserklärung abgeben müssen. Und niemand fühlt sich aufgefordert und in der Lage, die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften zu den Vollständigkeitserklärungen systematisch zu kontrollieren“, kritisiert DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch.
Als Ergebnis von Informationsbegehren der DUH bei den jeweils zuständigen Bundesländern stehe zweifelsfrei fest, dass die Umweltministerien nicht einmal wissen, wie viele Unternehmen in ihrem Zuständigkeitsbereich verpflichtet sind, Vollständigkeitserklärungen nach § 10 der novellierten Verpackungsverordnung zu hinterlegen. Außerdem gehe aus den Antworten auf die nach den jeweiligen Regelungen zur Umweltinformation gestellten DUH-Anfragen hervor, dass Kontrollen generell nur anlassbezogen durchgeführt werden. Selbst im Rahmen anlassbezogener Kontrollen würden die Angaben jedoch nicht auf inhaltliche Richtigkeit geprüft. Bemerkenswert sei auch, dass die Länder sich bei den Antworten auf die DUH-Anfragen erkennbar abgestimmt haben und sogar mit identischen Textbausteinen arbeiteten.
Die Verantwortung für die inhaltliche Prüfung der Vollständigkeitserklärungen schieben die Bundesländer auf die beteiligten unabhängigen Wirtschaftsprüfer oder Sachverständigen. Doch die bescheinigen die Vollständigkeitserklärungen nach Recherchen der DUH zwar, sie testieren sie aber nicht. Im Klartext bedeutet das, dass die Prüfer zwar garantieren, dass die vom Hersteller gelieferten Daten formal richtig in das vorgesehene elektronische Formular eingetragen wurden – ob die Angaben über die in Verkehr gebrachten Verpackungsmengen auch mit der Realität übereinstimmen, wird aber im Wesentlichen nicht überprüft. „Weder wissen die zuständigen Umweltministerien, wer überhaupt Vollständigkeitserklärungen abgeben muss, noch gibt es eine Instanz, die die Angaben der verpflichteten Unternehmen systematisch und inhaltlich kontrolliert“, resümiert Resch. „Unter diesen Umständen sind die Vollständigkeitserklärungen als Instrument für eine erhöhte Transparenz bei der Verpackungsentsorgung nutzlos.“
Die DUH hat inzwischen wegen der unbefriedigenden Situation bei Länderministerien nachgefragt, wie viele Verwaltungs- bzw. Bußgeldverfahren wegen Verstößen gegen § 10 der Verpackungsverordnung in ihrem Zuständigkeitsbereich eingeleitet worden seien. Des Weiteren will die DUH wissen, welche Informationen und Auswertungsmöglichkeiten für eine systematische inhaltliche Kontrolle der Hinterlegung von Vollständigkeitserklärungen aus Sicht der Umweltministerien ergriffen werden müssten.
Das Dilemma ist nach Überzeugung der Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation auch entstanden, weil nach den Regelungen der 5. Novelle der Verpackungsverordnung nur die zuständigen Länderbehörden auf die Inhalte der hinterlegten Vollständigkeitserklärungen zugreifen können – und nicht auch, wie die DUH gefordert hatte, Umwelt- und klageberechtigte Verbraucherschutzverbände. Auch auf der Internet-Plattform des DIHK wird die Öffentlichkeit ausschließlich darüber informiert, welche Unternehmen eine Vollständigkeitserklärung abgegeben haben. Welche Verpackungsmengen sich hinter den Vollständigkeitserklärungen verbergen, bleibt der Öffentlichkeit verborgen. Bisherige Versuche, diese Informationen vom DIHK zu erlangen, wurden abgelehnt.
Durch eine missbräuchliche Auslegung der Verpackungsverordnung können die Unternehmen Entsorgungs- und Recyclingkosten in Millionenhöhe sparen (s. PM vom 20.10.2009 unter http://www.duh.de/pressemitteilung.html?&tx_ttnews[tt_news]=1972). Praktizierte Falsch- und Umdeklarationen gehen dabei regelmäßig zulasten einer qualitativ hochwertigen Entsorgung. „Es ist ärgerlich aber leider eine Realität, dass gewinnorientierte Unternehmen sich auch bei der Verpackungsentsorgung nicht in die Karten gucken lassen wollen. Dass sich aber der DIHK als eingetragener Verein, der öffentliche Aufgaben wahrnimmt, ebenfalls standhaft weigert, Informationen von öffentlichem Interesse herauszugeben, ist inakzeptabel“, kritisiert Maria Elander, Leiterin Kreislaufwirtschaft bei der DUH. In einem an den DIHK-Präsidenten, Prof. Dr. Hans Heinrich Driftmann, gerichteten Antrag nach dem Umweltinformationsgesetz begehrt die DUH nun unter anderem Auskunft über die Anzahl rechtzeitig und verspätet eingereichter Vollständigkeitserklärungen sowie über die darin angemeldeten Verpackungsmengen.
Hintergrund
Nach der 5. Novelle der Verpackungsverordnung müssen Unternehmen, die Verkaufsverpackungen einsetzen, jährlich zum 1. Mai bei den örtlich zuständigen Industrie- und Handelskammern so genannte Vollständigkeitserklärungen hinterlegen. Die Erklärungen beinhalten von externen Dritten wie Wirtschaftsprüfern oder Steuerberatern geprüfte Angaben zu den jeweils von den Unternehmen für ihre Waren im Vorjahr eingesetzten Verpackungen und ihrer Entsorgung.
Die DUH hatte am 1. Oktober im Rahmen einer Stichprobe 44 Unternehmen angemahnt, zu begründen, warum sie bis zu diesem Zeitpunkt ihre Vollständigkeitserklärungen noch nicht hinterlegt hatten und das Versäumte ggf. unverzüglich nachzuholen. Außerdem wurden die Umweltministerien der Länder über mögliche Gesetzesverstöße informiert und zur Überprüfung und Ahndung aufgefordert. Bis zum 10. Dezember hatten 27 der angemahnten Unternehmen eine Vollständigkeitserklärung nachgereicht. Vier der Unternehmen haben angegeben, dass sie unter der Bagatellgrenze lägen und entsprechend keine Vollständigkeitserklärung abgeben müssten. Weitere acht Unternehmen haben angekündigt, zeitnah eine Vollständigkeitserklärung abgeben zu wollen.
Mehr als sieben Monate nach dem Stichtag 1. Mai 2009 sind nur rund 2.200 der 3.000-4.000 betroffenen Unternehmen ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Hinterlegung eine Vollständigkeitserklärung nach gekommen.
Für Rückfragen:
Jürgen Resch
Bundesgeschäftsführer, Deutsche Umwelthilfe e.V., Hackescher Markt 4, 10178 Berlin
Mobil.: 0171 3649170, Fax: 030 2400 867-19, E-Mail: resch@duh.de
Maria Elander
Leiterin Kreislaufwirtschaft, Deutsche Umwelthilfe e.V., Hackescher Markt 4, 10178 Berlin
Tel.: 030 2400867-41, Fax: 030 2400867-19, Mobil: 0160 5337376, E-Mail: elander@duh.de
Gerd Rosenkranz
Leiter Politik & Presse, Deutsche Umwelthilfe e.V., Hackescher Markt 4, 10178 Berlin
Tel.: 030 2400867-0, Mobil: 0171 5660577, E-Mail: rosenkranz@duh.de