Die StVO-Novelle: Überblick & FAQ
Nach langem Ringen um die Reform des Straßenverkehrsrechts ist am 11. Oktober 2024 eine neue Straßenverkehrsordnung (StVO) in Kraft getreten. Die StVO-Novelle ist zwar nicht der erhoffte große Wurf, eröffnet den Kommunen aber trotzdem zahlreiche neue Möglichkeiten. Unter anderem ist es erstmals möglich, Busspuren und Maßnahmen für den Fuß- und Radverkehr speziell zugunsten des Klimaschutzes umsetzen.
Auf dieser Seite geben wir einen Überblick über die wichtigsten Neuerungen und beantworten oft gestellte Fragen. Detailliert und praxisnah sind die neuen Möglichkeiten außerdem in einem von uns beauftragten Rechtsgutachten der Kanzlei Geulen & Klinger dargestellt. Eine übersichtliche Präsentation dazu finden Sie unten auf dieser Seite. Das Gutachten wurde im Rahmen unseres Projekts „Pop-up Mobilitätswende“ in Auftrag gegeben, das von der Nationalen Klimaschutzinitiative des BMWK gefördert wird und Kommunen bei der Umsetzung der Mobilitätswende unterstützt.
Weitere Infos zu Tempo 30 und dazu, wie man als Bürger*in ganz einfach Tempo 30 beantragen kann, finden Sie hier. Hilfreiche Informationen zu (Pop-up-) Radwegen können Sie hier nachlesen.
Busspuren und Flächen für den Fuß- und Radverkehr aus Klimaschutzgründen
Ab sofort können Busspuren und angemessene Flächen für den fließenden und ruhenden Fahrradverkehr sowie für den Fußverkehr aus folgenden Gründen angeordnet werden: Klima- und Umweltschutz, Gesundheitsschutz, Unterstützung der geordneten städtebaulichen Entwicklung. Weder braucht es hierfür eine qualifizierte Gefahrenlage, noch muss die Maßnahme „zwingend erforderlich“ sein. (§ 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 StVO & § 45 Abs. 10 Nr. 2 StVO)
Die Prognose muss keine genauen CO2-Zahlen liefern. Maßgeblich ist ein prognostischer Nachweis, dass die entsprechende Maßnahme dem Klimaschutz insofern dient, als sie eine Abnahme des Kfz-Verkehrs und eine Zunahme des Umweltverbundes bzw. der jeweils geförderten Verkehrsart (z.B. Radverkehr) fördert. Darüber hinaus muss das prognostizierte Ergebnis nicht mit an Sicherheit grenzender bzw. sehr hoher Wahrscheinlichkeit eintreten (ein solch hohe Wahrscheinlichkeit wäre schwer nachzuweisen), sondern lediglich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit.
Dass die Flächen für den Fuß-/Radverkehr nicht unangemessen groß sein dürfen, ergibt sich auch ohne diesen Zusatz aus den Anforderungen an den Abwägungsprozess. Womöglich zielt die Formulierung auf diejenigen Maße ab, die in den jeweiligen technischen Regelwerken (etwa den „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“, ERA), für angemessen erklärt werden.
Tempo 30
Streckenbezogenes Tempo 30 ist ab sofort auch möglich an Fußgängerüberwegen („Zebrastreifen“), hochfrequentierten Schulwegen und Spielplätzen. (§ 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 6 StVO)
Ein Lückenschluss zwischen Tempo-30-Abschnitten ist nun auf einer Länge von bis zu 500m möglich. (§ 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 4 Alt. 2 StVO)
Unter Spielplätzen dürften zumindest alle von der Kommune als öffentlicher Spielplatz eingerichteten Flächen zu verstehen sein. Wie groß oder frequentiert diese Spielplätze sind, dürfte unerheblich sein. Allerdings dürfte an einem de facto nicht besuchten Spielplatz eine einfache Gefahrenlage regelmäßig schwierig nachzuweisen sein (es sein denn die fehlende Frequentierung beruht gerade auf einer bestehenden Gefahrenlage). Der Nachweis einer einfachen Gefahrenlage ist nach wie vor notwendig .
Angesichts der besonderen Schutzbedürftigkeit von Kindern und Jugendlichen sowie der betroffenen hochrangigen Rechtsgüter des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit dürfen an die hohe Frequentierung keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Indizien für eine ausreichend hohe Frequentierung können unter anderem etwa die Verbindungsfunktion des Wegs zwischen Schule und Bushaltestelle oder das Vorhandensein von Verkehrshelfern (ggf. Verkehrszeichen 356) sein. Denkbar ist auch eine Orientierung an in Schulwegplänen festgelegten sog. Hauptschulwegen. In jedem Fall sollte für eine rechtssichere Anordnung die Frequentierung auf dem Schulweg möglichst durch entsprechende Zählungen dokumentiert werden.
Der Lückenschluss dürfte nur die zeitliche „Schnittmenge“ beinhalten: Gilt z.B. auf dem ersten Abschnitt Tempo 30 von 7-18 Uhr und auf dem zweiten Abschnitt ganztags, so dürfte in der „Lücke“ dazwischen nur Tempo 30 von 7-18 Uhr möglich sein.
Neues Antragrecht der Gemeinden
Ab sofort können Gemeinden, wenn sie nicht selbst als (untere) Straßenverkehrsbehörde für die jeweilige Straße zuständig sind, Maßnahmen bei der zuständigen übergeordneten Behörde beantragen (z.B. beim Landkreis). Die zuständige Straßenverkehrsbehörde muss hierüber nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden. Entscheidet sie nicht oder ermessensfehlerhaft, kann die Kommune hiergegen vor dem Verwaltungsgericht klagen. Ein solches umfassendes und einklagbares Antragsrecht gab es bisher nicht. (§ 45 Abs. 1j StVO)
Dies ergibt sich verfassungsrechtlich zwingend aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG: Es besteht ein gesetzlich verankertes Antragsrecht der Gemeinden, das nach der Verordnungsbegründung ein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung begründet . Daher muss dieses Recht auch im Rechtswege durchsetzbar sein.
Ja. § 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 7 StVO ist keine Anordnungsgrundlage, sondern modifiziert nur den Gefahrenbegriff der jeweils genutzten Anordnungsgrundlage 1-1i. Streckenbezogenes Tempo 30 wird daher nicht auf Grundlage von § 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 7 StVO angeordnet, sondern auf Grundlage der vom Antragsrecht umfassten Anordnungstatbestände des § 45 Abs. 1-1i.
Nein. Die Straßenverkehrsbehörde ist – auch wenn sie staatliche Aufgaben wahrnimmt – kein rechtlich selbständiger Teil der Stadtverwaltung, sondern Teil der Gemeinde. Ein Antragsrecht z.B. des Stadtrats gegen die Straßenverkehrsbehörde dürfte nach § 45 Abs. 1j nicht bestehen, da es sich um einen Vorgang innerhalb ein und derselben Rechtspersönlichkeit handelt, nämlich der Gemeinde. Die Gemeinde kann also nicht „bei sich selbst“ Maßnahmen beantragen und gegen sich selbst auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über bestimmte straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen klagen. Instrumente, mit denen der Rat den Bürgermeister/die Bürgermeisterin/die Stadtverwaltung kontrollieren und ggf. zur Umsetzung von Beschlüssen verpflichten kann, sind nicht dem Straßenverkehrsrecht, sondern den jeweiligen Gemeindeordnungen bzw. ggf. den Gemeindesatzungen zu entnehmen.
Parken
Maßnahmen zum Bewohnerparken sind nun schon bei drohendem Parkraummangel möglich (nicht erst bei bereits existierendem Parkraummangel). Dieser drohende Parkraummangel muss nachgewiesen werden. (45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2a StVO)
Darüber hinaus sind solche Maßnahmen nun auch aufgrund eines städtebaulich-verkehrsplanerischen Konzeptes möglich, konkret zur Vermeidung von schädlichen Auswirkungen auf die Umwelt oder zur Unterstützung der geordneten städtebaulichen Entwicklung. Hierfür sind weder ein existierender noch ein drohender Parkraummangel notwendig. (§ 45 Abs. 1b Satz 2 StVO)
Fußgängerüberwege („Zebrastreifen“)
Für die Einrichtung von Fußgängerüberwegen („Zebrastreifen“) entfällt der bisher notwendige Nachweis einer qualifizierten Gefahrenlage. (§ 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 9 StV)
Grundsätzlich ist zu sagen, dass die R-FGÜ allgemeine, ermessenslenkende Vorgaben zur Einrichtung von Fußgängerüberwegen enthalten. Von diesen kann begründet abgewichen werden, wenn die Umstände des Einzelfalls dies rechtfertigen. Das Land NRW etwa hat diesbezüglich schon vor vielen Jahren mittels eines Erlasses klargestellt, dass bei der Anordnung von FGÜ die R-FGÜ nicht zwingend zu berücksichtigen sind. Der Erlass spricht davon, dass „Fußgängerüberwege auch unabhängig von den in den R-FGÜ genannten Einsatzgrenzen eingesetzt werden können“. Dies gilt umso mehr nach dem Wegfall des Nachweises einer qualifizierten Gefahrenlage mit der Novelle.
VwV-StVO (Allg. Verwaltungsvorschrift zur StVO)
Nein. Grundsätzlich ist zur VwV-StVO zu sagen, dass diese zwar eine wichtige ermessenslenkende Funktion bei der Auslegung/Anwendung der StVO spielt, jedoch gerichtlich nicht bindend ist. Mehr noch: Straßenverkehrsbehörden sind verpflichtet, die Umstände jedes Einzelfalls zu würdigen und, wo nötig, von den allgemeinen Vorgaben der VwV auch begründet abzuweichen. Die neuen Möglichkeiten der StVO sind in jedem Falle auch vor der Reform der VwV anwendbar (dies bestätigte eine Vertreterin des BMDV noch im November 2024).
Ursprünglich war eine Fertigstellung der Novelle noch im Jahr 2024 geplant, inzwischen (November 2024) ist von Mai 2024 die Rede. Ob dieser Zeitplan eingehalten wird, ist unklar.
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Hanna Rhein
Referentin Städtische Mobilität | Verkehr und Luftreinhaltung
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