Wenn Essen krank macht
In der industriellen Massentierhaltung kommen regelmäßig Antibiotika zum Einsatz. So erhalten 85 von 100 Hähnchen während der Mast Antibiotika, oftmals sogar mehrere Wirkstoffe. Wie auch im Menschen, bilden Keime in Tieren teils Resistenzen gegen die Antibiotika – je häufiger Antibiotika eingesetzt werden, desto wahrscheinlicher treten Resistenzen auf. Über den Fleischkonsum können die Antibiotikaresistenzen an uns Menschen weitergegeben werden. Der massive Einsatz vor allem der sogenannten Reserveantibiotika stellt daher ein großes Gesundheitsrisiko dar – für die Tiere, aber erst recht für uns Menschen.
Reserveantibiotika werden bei kranken Menschen eingesetzt, die an Infektionen mit resistenten Keimen leiden, gegen die herkömmliche Antibiotika nicht mehr wirken. Ohne wirksame Reserveantibiotika ist die Stabilität unseres Gesundheitssystems bedroht, ähnlich wie kürzlich beim Ausbruch der Covid 19-Pandemie. 2015 wurde deshalb eine Reduktionsstrategie für den Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung beschlossen und 2023 wurde mit der DART 2030 eine weitere Deutsche Antibiotikaresistenz-Strategie vorgelegt. Gelöst haben sie das Problem bislang nicht. Hauptursachen für überhöhte Antibiotikagaben in der Tierhaltung sind die leidvollen Haltungsbedingungen in der Massentierhaltung, Hochleistungszucht und Anfälligkeit sowie nicht artgerechte Fütterung. Doch beim Tierschutz kommt die Bundesregierung bisher nicht voran. Kein Wunder also, dass rund 30 Prozent des Hähnchenfleisches in Discountern mit gefährlichen Antibiotikaresistenzen kontaminiert sind. Stichprobentests der DUH zeigen: Öko-Hähnchenfleisch aus dem Bioladen ist vier Mal geringer belastet.
Antibiotikaeinsatz im großen Stil
Der Antibiotikaverbrauch in Deutschland ist erschreckend hoch – knapp 70 (69,9) Milligramm Antibiotika je Kilogramm Tiergewicht werden durchschnittlich eingesetzt. Tierärztinnen und Tierärzte in Dänemark kommen z.B. mit nur 34 Milligramm Antibiotika je Kilogramm aus. Tierärzte, Tierärzte und Tierhaltende in Deutschland verbrauchen leider auch deutlich mehr Reserveantibiotika als ihre Kolleginnen und Kollegen in den allermeisten anderen EU-Staaten. Seit mehr als 10 Jahren stagniert hierzulande der Anteil der Reserveantibiotika bei rund 20 Prozent des Gesamtverbrauchs von Antibiotika in der Tierhaltung. Jeder Antibiotikaeinsatz bringt resistente Erreger hervor. Daher sollten besonders Reserveantibiotika nur in absoluten Ausnahmen – statt routinemäßig – eingesetzt werden.
Lebenswichtige Reserveantibiotika werden verschleudert
Es gibt fünf Wirkstoffklassen von Reserveantibiotika, die in der Humanmedizin als letztes Mittel eingesetzt werden, wenn Keime gegen die „Standard“-Antibiotika bereits Resistenzen gebildet haben. Wenn über den Verzehr tierischer Produkte also Antibiotikaresistenzen in den menschlichen Körper gelangen, kann eine eigentlich einfach zu behandelnde bakterielle Infektion für Betroffene tödlich enden. In Europa sterben jährlich über 33.000 Menschen an Infektionen, weil Antibiotika nicht mehr wirken.
Mit einer 2018 erlassenen Verordnung für Tierärzte konnte der Verbrauch an Reserveantibiotika bei 3 von 5 Wirkstoffklassen der Reserveantibiotika reduziert werden. Doch die für kranke Menschen immer wichtiger werdenden Notfallantibiotika Colistin und Makrolide wurden noch nicht reguliert. Das Reserveantibiotikum Colistin wird insbesondere in der tierschutzwidrigen Mast von Hähnchen und Puten eingesetzt, teils deutlich mehr als medizinisch vorgesehen. Längst hätte aus Sicht der DUH ein gesetzliches Verbot gegen Colistin in industriellen Tierhaltungen erfolgen müssen, um dem Missbrauch den Riegel vorzuschieben.
Die industrielle Massentierhaltung ist das Problem
Laut einer Evaluierung des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL 2019) werden in großen Tierbeständen deutlich häufiger Antibiotika eingesetzt als in kleinen und mittleren. Genau diese Megamastanlagen werden jedoch massenhaft betrieben in Deutschland, zum Schaden von Gesundheit und Klima. Jeder Antibiotikaeinsatz ruft Resistenzen hervor, die mit der Gülle und Abluft aus den Ställen und schließlich auf Feldern und in Gewässern gelangen und sich ausbreiten können. Damit Menschen, Tiere und Umwelt vor resistenten Erregern besser geschützt werden, muss vor allem der Verbrauch in der Tierhaltung minimiert werden. In der Humanmedizin gibt es bereits viele Initiativen für einen verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika.
Der Hauptgrund für das Versagen der Antibiotikareduktion dieser Bundesregierung ist, dass sich am Tierleid in den Ställen nichts geändert hat. Tierschutzgesetze wurden seit Jahren nicht verbessert. Die reformierte Gruppenhaltung von Sauen wird erst nach Jahren wirksam. Das System der industriellen Massentierhaltung verursacht enormes Tierleid und damit auch Tierkrankheiten. Viele Tiere erreichen nur mit massivem Antibiotikaeinsatz lebend den Schlachthof. Wartezeiten zwischen Colistin-Einsatz und Schlachtung der Tiere gibt es nicht. Ausnahme ist der Ökolandbau, denn hier ist der Antibiotikaeinsatz pro Tier streng limitiert. Ökotiere und Ökofleisch sind erheblich geringer mit resistenten Erregern belastet.
Auch die Hochleistungszucht der Tiere trägt zum überhohen Antibiotikaverbrauch bei. So erhalten 8 von 10 Milchkühen mindestens einmal jährlich Antibiotika, oft sogar Reserveantibiotika. Sie sind auf eine extrem hohe Milchleistung gezüchtet, die ihre Körper systematisch an den Rand der Überforderung treibt. Schmerzhafte Euterentzündungen sind die Folge – und Antibiotikagaben eine Routinemaßnahme. Die Folge: Milch, die vor der Verarbeitung in der Molkerei getestet wurde, enthält in 10 Prozent Antibiotikaresistenzen.
Die Alternative zu Antibiotika im Stall ist eine tierfreundlichere, artgerechtere Haltung, Zucht und Fütterung. Bisher aber sind krankmachende Haltungen, Qualzucht und nicht-artgerechte Fütterung im Rahmen der geltenden Gesetze erlaubt. Antibiotika sind so billig, dass ihr massenhafter Einsatz kostengünstiger ist als der Umbau der Tierhaltung hin zu mehr Tierwohl.
Wir fordern deswegen:
- den Erlass von Regeln im Tierarzneimittelgesetz und im Tierschutzgesetz, die Antibiotika in Tierhaltung von der Regel zur Ausnahme werden lassen,
- die Verbesserung von Tierschutzgesetzen, sodass Tier- und Umweltschutz gleichermaßen gesichert werden,
- eine Pflicht zum Erregertest bei jedem Antibiotikaeinsatz,
- eine lückenlose Dokumentation jedes Antibiotikaeinsatzes bei allen Tieren in täglicher Dosis je Tiergewicht,
- ein Verbot von Reserveantibiotika in der Massentierhaltung. Die Bundesregierung muss sich darüber hinaus für ein EU-weites Verbot einsetzen.
Die Bundesregierung und auch die EU-Kommission stellen mit ihren bisherigen Plänen für Reserveantibiotika den Profit der Fleischindustrie über den Schutz der menschlichen Gesundheit. Das Tierarzneimittelgesetz der EU ist ein geeignetes Instrument für den Gesundheitsschutz, allerdings muss es dazu massiv nachgebessert werden.
Antworten auf häufige Fragen
Gesunde Tiere brauchen keine Antibiotika. In der industriellen Tierhaltung werden die Tiere auf extrem hohe tägliche Gewichtszunahmen und Milchmengen hin gezüchtet. Das ist vergleichbar mit täglichem Hochleistungssport. Zugleich werden etwa die Turbo-Hähnchen mit bis zu 23 Tieren auf einem Quadratmeter gehalten – die Fläche einer Duschwanne. Die drängende, unausweichliche Enge in Ställen mit regelmäßig 40.000 Masthühnern oder mehr erzeugt großen Stress für die Tiere. Wird eines krank, haben Krankheitserreger optimale Bedingungen, auch auf andere Tiere übertragen zu werden und in den riesigen Tierherden zu mutieren. Manche befürchten eine nächste Pandemie mit antibiotikaresistenten Super-Erregern aus solchen industriellen Tierhaltungen.
Werden in einer Tierfabrik mit z.B. zehntausenden Schweinen oder hundertausenden Hähnchen Antibiotika verabreicht, haben genau die Keime beste Überlebenschancen, die Resistenzen gegen die Antibiotika entwickeln. Jeder Antibiotikaeinsatz ruft Resistenzen hervor. Die Masse des Einsatzes in der Fleisch- und Milchwirtschaft und die riesigen Tierbestände in einem Betrieb verschärfen das Problem.
Limits für Antibiotika bei Tieren gibt es nur im Ökolandbau. Für Tierfabriken in Deutschland gibt es keine Obergrenze und kein klares Reduktionsziel. Antibiotikaresistente Erreger können mit der Gülle und der Abluft aus den Ställen in die Umwelt, auf Felder und in Gewässer gelangen und sich ausbreiten. So werden auch auf Gemüse- und Getreidefeldern, manchmal auch an Badestellen antibiotikaresistente Erreger gefunden.
Menschen können sich resistente Keime im direkten Umgang mit den Tieren einfangen. So sind über 80 Prozent der Schweinehalterinnen und Schweinehalter Träger von Antibiotikaresistenzen. Auch Tierärzte und Schlachthofmitarbeitende sind stärker belastet. In Regionen mit viel Massentierhaltung weisen bis zu 30 Prozent der allgemeinen Bevölkerung Resistenzen auf, die aus Tierhaltungen stammen.
Die Weltgesundheitsorganisation spricht daher von „One Health“: Es gibt nur eine Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt. Werden Antibiotika an einer Stelle eingesetzt, sind die anderen Bereiche auch immer mitbetroffen. Wenn wir es schaffen Antibiotikamissbrauch bei Tieren zu stoppen, ist auch der Gesundheit von Mensch und Umwelt geholfen.
Während in Deutschland rechnerisch 88 Miligramm Antibiotika je Kilogramm Tiergewicht verbraucht werden, kommen Tierärzte in Nachbarländern teils mit weniger oder deutlich weniger Antibiotika aus. Dänemark etwa hat strengere Regulierungen gegen Antibiotikamissbrauch im Stall. Dort gibt es eine Ampel mit behördlichen Sanktionen gegen Betriebe mit zu hohem Verbrauch bei „nur“ 38 mg Antibiotika je kg Fleisch – trotz umfangreicher Schweinehaltung.
In den USA sind Reserveantibiotika aus der Klasse der Flourchinolone für Geflügel nicht mehr zugelassen. In der Folge sind auch die Resistenzraten beim Geflügel auf ca. 5 Prozent gesunken. In Deutschland liegen die Resistenzraten dagegen bei teils über 50 Prozent. Die DUH fordert auch in Deutschland die für Menschen wichtigsten Humanantibiotika aus der Massentierhaltung zu verbannen.
Seit 2016 stagniert der Antibiotikaverbrauch bzw. er sinkt nur noch in etwa dem Umfang in dem die Fleischproduktion sinkt (2016-2019). Beim Verbrauch der Reserveantibiotika zählt Deutschland noch immer zu den Vielverbrauchern an Antibiotika für Lebensmittel liefernde Tiere im Vergleich der Europäischen Staaten.
Die vom Bundesamt für Verbraucherschutz (BVL) veröffentlichten Daten zu Antibiotikaresistenzen in der Lebensmittelkette und auch Stichproben von Verbraucherschutzorganisationen zeigen, dass allen Fleischindustrien voran die Geflügelfleischindustrie antibiotikaresistente Krankheitserreger auf rund jedem zweiten Hähnchenfleischprodukt in unsere Lebensmittelkette einschleppt. Das stellt ein großes Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung dar.
So fordert sogar die dem BMEL unterstellte Behörde für Verbraucherschutz (BVL) Reduktionsmaßnahmen bei Reserveantibiotika wie Flourchinolonen: „Die hohen Resistenzraten von zum Teil über 50 Prozent der Bakterien-Isolate von Masthähnchen und Mastputen gegenüber Fluorchinolonen verdeutlichen, dass insbesondere der Einsatz dieser Antibiotikaklasse beim Geflügel reduziert werden muss, da sie als besonders wichtig für die antibiotische Behandlung beim Menschen gilt.“
Nein. Nach den EU-Ökoregeln darf ein Tier, das ein Jahr lang oder kürzer gemästet wird, allerhöchstens ein Mal im Leben Antibiotika erhalten. Zum Vergleich: Eine konventionelle Mastpute erhält bis zu 8 verschiedene Wirkstoffe. Die Ökolandbauverbände in Deutschland verzichten zudem teils auf Reserveantibiotika. Entsprechend geringer ist Ökofleisch kontaminiert mit resistenten Erregern.
Dazu das BVL 2019: „Die Ergebnisse der Antibiotikaresistenzuntersuchungen zeigen, dass die Resistenzraten in den Lebensmittelketten Masthähnchen und Mastpute unter den Nutztieren am höchsten sind, was den im Vergleich zu Rindern und Schweinen häufigeren Einsatz von Antibiotika bei dieser Tiergruppe widerspiegelt. Auffallend ist, dass E.-coli-Isolate aus ökologischen Mastputenbetrieben und aus ökologisch erzeugtem Putenfleisch insgesamt deutlich niedrigere Resistenzraten aufwiesen als die entsprechenden Isolate aus der konventionellen Produktion. Außerdem traten bei Isolaten aus der ökologischen Produktion seltener Multiresistenzen gegen drei oder mehr Substanzklassen auf als bei Isolaten aus Mastputenbetrieben und Putenfleisch der konventionellen Produktionsform (17,7 % vs. 42,9 %)."
Wir müssen politischen Druck machen, damit die Politik endlich handelt! Unterstützen Sie unsere Arbeit für mehr Tierschutz im Stall und gegen Antibiotikamissbrauch.
Durch unseren bewussten Konsum können wir bereits jetzt einen Unterschied machen:
- weniger tierische Produkte, schon gar nicht aus Massentierhaltung.
- Da im Ökolandbau strenge Regeln zur Kontrolle des Antibiotikaeinsatzes gelten, sind die Risiken, über die Nahrung Antibiotikaresistenzen aufzunehmen, bei Biofleisch i.d.R. geringer.
- Kontaktieren Sie den Kundenservice Ihres Einkaufsgeschäfts – je mehr Anfragen dort ankommen, desto eher werden die Unternehmen auch freiwillig Maßnahmen gegen den flächendeckenden Antibiotikaeinsatz vornehmen.
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Reinhild Benning
Senior Beraterin für Agrarpolitik
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Peer Cyriacks
Leiter Internationaler Naturschutz
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