Wippender Waldbewohner
Der Artikel erschien in der DUHwelt 1/20.
Im abgelegenen Schlaubetal ganz im Osten Brandenburgs plätschert die Schlaube, ein schmales Bächlein, durch einen alten Hainbuchenwald. Wölfe leben hier, auch Kraniche. Menschen dagegen trifft man nur selten. Seit Jahrhunderten gräbt sich die Schlaube von Süd nach Nord durch den Sandboden der Mark Brandenburg. So sind tiefe Schluchten entstanden, die einen glauben lassen, man befinde sich in einem Mittelgebirge. Alle Fließgewässer westlich des kleinen Bachs fließen letztlich über Weser und Elbe in die Nordsee, alle östlich davon in die Ostsee. Auch aus einem anderen Grund ist das beschauliche Schlaubetal ein besonderer Ort: Es ist eines der wenigen Brutgebiete des Waldwasserläufers in Deutschland.
Lange Beine, weiße Augenringe
Der Waldwasserläufer ist ein hübscher Schnepfenvogel, der etwa so groß ist wie eine Amsel. Der Rücken ist dunkelbraun getupft, die Unterseite dagegen scharf abgegrenzt leuchtend weiß. Die kleinen Augen sind mit weißem Ring eingerahmt. Wie alle Schnepfen hat auch der Waldwasserläufer lange Beine und einen langen, sehr schmalen Schnabel, mit dem er im feuchten Boden und in flachen Gewässern nach Nahrung stochert. Diese besteht aus kleinen Tierchen: Würmern, Krebstierchen und Insekten wie beispielsweise Libellenlarven. Bei der Beobachtung fällt auf, dass der Vogel ständig mit dem Hinterteil wippt und die Richtung ändert, was ihm einen nervösen Gesamteindruck gibt.
Zu Hause in recycelten Nestern
Schnepfenvögel sind bei ihrer Nahrungsakquise auf Feuchtgebiete angewiesen. Viele ausgedehnte Feuchtgebiete wie die Hochmoore Osteuropas oder die Salzwiesen der Meeresküsten sind baumlos. Dort brüten die gefiederten Bewohner in gut getarnten Nestern auf dem Boden. Der Waldwasserläufer hingegen ist eine Rarität in der Schnepfenfamilie: Er brütet vorwiegend im Wald. Da Schnepfen allerdings keine begabte Nestbauer sind, greift der Waldwasserläufe auf gebrauchte Nester zurück. Meist recycelt er Nester, in denen im Jahr zuvor Drosseln brüteten. Auch in geeigneten Baumhöhlen wurden schon brütende Waldwasserläufer gesichtet. Aufgrund seines Habitats ist der deutsche Name für den Vogel recht passend. Doch aufgepasst: Im Englischen heißt er Green Sandpiper, obwohl man vergeblich etwas Grünes an ihm sucht. Seine Beine sind jedenfalls ziemlich grau, ganz im Gegensatz zum Grünschenkel, einem größeren Verwandten, der im Englischen wiederum genauso heißt: Greenshank. Darüber hinaus nennen die Briten den Bruchwasserläufer Wood Sandpiper, obwohl dieser den Wald eher meidet und sich lieber in Hochmooren aufhält.
Nur eine kurze Rast
Mit der Brut hat der Waldwasserläufer es eilig. Aus den Überwinterungsgebieten im Südwesten Europas oder gar Afrikas zieht der Vogel ab März gen Nordosten, wo ab April bis Juni gebrütet wird. Drei bis vier Eier und 25 Tage später schlüpfen die Jungvögel, die nach nur kurzer Zeit das Nest verlassen oder, genauer gesagt, springen. Mutter und Vater erziehen den mutigen Nachwuchs getrennt voneinander und zeigen den Kleinen zentrale Waldwasserläuferfähigkeiten. Weitere 25 Tage später ist die Schule abgeschlossen und die Altvögel verlassen schon wieder die sumpfigen Wälder. Nur zwei Monate im Jahr verbringen die Vögel also in ihren Brutgebieten. Außerhalb der Brutzeit sieht man die Tiere an Fluss- und Seeufern, auf nassem Grünland und an Gräben, oft auch zusammen mit anderen Rastvögeln.
Steckbrief: Waldwasserläufer (Tringa ochropus)
Verwandtschaft: Der Waldwasserläufer gehört zur Familie der Schnepfenvögel. Zu seinen engen Verwandten gehören Rot-, Grün- und Gelbschenkel.
Lebensraum und Verbreitung: Der Waldwasserläufer ist ein Brutvogel der ausgedehnten Waldgebiete Nord- und Osteuropas sowie weiter Teile Russlands. Dort brütet der Vogel in feuchten Tälern, in Erlenbrüchen. Er nutzt vorwiegend Drosselnester in Nadelbäumen. In Deutschland brütet er in geringer Zahl in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Zur Zugzeit ist er auch im Offenland zu sehen.
Aussehen: Die Oberseite des Gefieders ist dunkelbraun getupft, die Unterseite ist reinweiß. Weitere Merkmale sind weiße Augenringe sowie ein langer, dünner Schnabel. Beim Auffliegen ruft er laut und hoch „tuiiii-tiitiit!“. Mit seinen 20 bis 25 cm ist der Waldwasserläufer ungefähr so groß wie eine Amsel.
Nahrung: Waldwasserläufer stochern im feuchten Boden und in flachen Gewässern nach Insekten, Würmern und anderen Kleintieren.
Gefährdung: Der Waldwasserläufer ist weder in Deutschland noch global gefährdet. Forschungsergebnisse deuten allerdings darauf hin, dass sich durch den Klimawandel geeignete Habitate für viele Schnepfenvögel wie den Waldwasserläufer nach Norden verschieben.