„Fukushima war das Todesurteil für die Atomenergie in Deutschland“
Vor 32 Jahren kam es zur Nuklearkatastrophe in Tschernobyl, im März 2011 explodierten drei Reaktoren im japanischen Fukushima und lösten Kernschmelzen aus. Ein Gespräch mit DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner über den deutschen Atomausstieg und Fehler, die sich nie wiederholen dürfen.
26. April 2018
Herr Müller-Kraenner, erinnern Sie sich, wo Sie am 26. April 1986 waren, als Block 4 des Atomkraftwerks Tschernobyl explodierte?
Ja, daran erinnere ich mich noch sehr genau. Ich war mit Kommilitonen auf der Rückreise von einer meeresbiologischen Exkursion in Jugoslawien, als wir im Radio von der Explosion im Kernkraftwerk Tschernobyl hörten. Wir waren vollkommen fassungslos und wechselten hektisch die Radiosender, um die Nachrichten zu hören. Draußen regnete es in Strömen. Von der radioaktiven Verseuchung, die durch diesen Dauerregen auf Süddeutschland und Österreich niederging, erfuhren wir aber erst Tage später.
Zwanzig Jahre später besuchten Sie die Sperrzone nahe der Stadt Prypjat…
Im Jahr 2006 war ich, gemeinsam mit ukrainischen Umweltgruppen und der Heinrich Böll Stiftung, an der Organisation einer großen Anti-AKW-Konferenz anlässlich des 20. Jahrestages von Tschernobyl in Kiew beteiligt. Am Vortag der Konferenz fuhren wir in das zwei Autostunden entfernte Sperrgebiet. Besonders erschreckend war der Besuch in der über Nacht evakuierten Geisterstadt Prypyat. In die umliegenden Dörfer waren damals einzelne ältere Menschen illegal zurückgekehrt, so wie eine alte Frau, die von ihrem Garten und Fischteich lebte. Sie lud uns zu Tee und geräuchertem Fisch ein. Aus Höflichkeit haben wir von dem Fisch dann einen kleinen Bissen gegessen.
2011 führte ein schweres Erdbeben zu mehreren Kernschmelzen im japanischen Kernkraftwerk Fukushima Daiichi. War Tschernobyl nicht Warnung genug?
Ganz offensichtlich nicht. In Fukushima sind schwere Fehler gemacht worden. Begonnen mit der Tatsache, dass ein Erdbeben und ein Tsunami immer mögliche Risiken darstellten, gegen die das Kraftwerk nicht ausreichend abgesichert war. Der große Unterschied zwischen Tschernobyl und Fukushima bestand aber in meiner und wohl auch der kollektiven Wahrnehmung darin, dass er nicht in der technologisch rückständigen Sowjetunion, sondern im Hightech-Land Japan stattfand. Japan ist das Land, in dem sogar die Züge auf die Sekunde pünktlich fahren. Was in Japan passiert, kann ebenso auch in Deutschland passieren. Deswegen war Fukushima das Todesurteil für die Atomenergie in Deutschland.
Nicht alle sind mit der Entscheidung zum Atomausstieg in Deutschland glücklich. Besteht die Gefahr, dass sich das Blatt noch mal wenden könnte?
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat kürzlich via Twitter bekräftigt, dass die Abschalttermine der Atomkraftwerke feststehen und er diesbezüglich mit Umweltministerin Svenja Schulze die gleiche Position vertrete. Ich freue mich über dieses klare Bekenntnis und sehe keine Gefahr eines Rückziehers.
Blicken wir in die Zukunft: 1. Januar 2023, alle deutschen AKWs sind stillgelegt. Ein großer Schritt. Aber reicht er?
Die Kraftwerke abschalten reicht natürlich nicht, wir müssen alternative Energiequellen erschließen, Erneuerbare-Energien-Anlagen ausbauen und unsere Energieversorgung insgesamt klimafreundlich gestalten. Da ist noch viel zu tun. Die DUH hat hierzu konkrete Vorschläge gemacht (siehe Positionspapier am Ende dieser Seite).
Zudem bleibt uns die teure strahlende Erbschaft des Atomzeitalters noch lange erhalten. Dass die Kraftwerksbetreiber für dessen Endlagerung und für den Rückbau der Atommeiler verantwortlich sind und dafür finanziell aufkommen müssen, steht außer Frage. RWE, E.On und Co. haben jahrzehntelang Milliarden mit dem Atomstrom verdient. Jetzt müssen sie für die Folgen auch gerade stehen.